Ein Unterrichtsraum wird kurzerhand zum Labor: 20 Schüler*innen der 11. Klasse der städtischen Berufsschule 7 (Bebo-Wager-Berufsschule) in Augsburg experimentieren dabei nicht etwa mit Reagenzglas, Pipette oder Glaskolben, vielmehr beschäftigt sie die menschliche Chemie, der Umgang mit- und untereinander. Kurz zusammengefasst: Es geht um Rassismus. „Das ist immer noch ein alltägliches Thema“, sagt Dominik Endres, Mitarbeiter im Bundesprogramm Respekt Coaches des Jugendmigrationsdienstes (JMD) Augsburg.
„Im Grunde handelt es sich um Vorurteile und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, resümiert der Sozialpädagoge für politische Bildung, der seit einem Jahr hier vor Ort tätig ist. Als Respekt Coach macht er Projekte wie dieses in Kooperation mit der Schule, dem JMD in Trägerschaft der Kolping Akademie Augsburg und externen Bildungsträgern möglich.
Die Komfortzone verlassen
Gibt es in der Wissenschaft feste Formeln und Regeln, die anzuwenden sind, so sind es in diesem Falle die Schauspielerin Yaroslawa Gorobey und ihre Kollegen Benjamin Wendel und Sebastian Schwarz von „Mensch:Theater! Theaterpädagogik mit Biss“, die die angehenden Fachinformatiker*innen mit Rollenspielen und Diskussionsrunden motivieren wollen, ihre Komfortzone zu verlassen. Dafür integriert das Ensemble aus Kappelrodeck die Klasse von Anfang an als aktiven Part in ihr Stück „Magdis Welt“.
Lehrerin Sara Waibl ist sich sicher: „Das Thema reicht über den Schulkontext hinaus.“ Die Hoffnung, die Dominik Endres mit dem Projekt verbindet: „Vielleicht wird hier oder an einem anderen Ort darüber reflektiert.“ Der Sozialpädagoge ist an drei Schulen in Augsburg aktiv. Was er jedoch bedauert: „Durch das gekürzte Budget für solche Angebote ist eine Veranstaltung wie heute nur noch selten und nurmehr für eine der drei Schulen möglich.“ Dabei wäre die Relevanz politischer Bildung an allen Schulen seiner Meinung nach dringend geboten.
Ideen, aber keine Lösung
Dass sie keine Lösung haben, wenn es um Rassismus geht, das betonen die drei Theaterpädagog*innen mehrfach. „Aber wir haben vielleicht die eine oder andere Idee“, erklärt Yaroslava Gorobey. Sie lobt den „super Austausch“ mit den Schüler*innen. „Wir wollen mit den Klassen eine Verbindung aufbauen“, ergänzt Benjamin Wendel. Dazu gehöre es, Fragen zu stellen und über Handlungsmuster zu sprechen. „Wir wollen da sein, zuhören, Erfahrungen teilen, einen Konsens finden“, sagt Sebastian Schwarz.
Für die Teilnehmenden ist das durchaus herausfordernd. Da gibt es Szenarien wie dieses: „Du wartest draußen“, verweist der Vater harsch Jewgenija, die Freundin seines Sohnes Anton, aus der Wohnung. „Und fass bloß nichts an.“ Der Grund: Sie ist gebürtige Ukrainerin. Ihre zur Begrüßung ausgestreckte Hand übersieht er geflissentlich. „Sie ist Kommunistin“, lautet seine Begründung. Der Großvater habe schließlich im Zweiten Weltkrieg in Russland gegen solche Leute gekämpft. Doch wie als Sohn umgehen mit so einer eskalierenden Situation? Im Stück kuscht er vor der Dominanz des Vaters.
Seine Meinung vertreten
Für Pascal, der in einer zweiten Runde in die Rolle des Anton schlüpft, ist klar: Er muss Paroli bieten. Seine Argumentation konsterniert den Vater dann doch. „Was hat sie dir getan?“ fragt er im Hinblick auf Jewgenija. „Was hat sie mit der Vergangenheit zu tun?“ Mit der Drohung, aus der Wohnung auszuziehen jedoch, „hat er die Konfliktsituation verstärkt und dem Vater den zweiten Feind geliefert“, kommentiert Sebastian Schwarz, und ermutigt mit dem Satz: „Seine Meinung vertreten, das ist wichtig.“
Die Ansichten in der 11. Klasse gehen jedoch weit auseinander. „Ich würde mit meinem Vater nicht so reden“, ist eine Meinung. Oder: „Ich würde gar nicht erst heimgehen, um die Situation zu vermeiden. Dadurch wird Rassismus nämlich unterstützt und gelebt.“ Darsteller Benjamin Wendel weiß: „Ideen sind eine Sache, Position und Meinung beziehen, das ist eine andere Hausnummer.“
Werte vermitteln wichtiger denn je
„Mensch:Theater!“ gastiert erstmals an der Berufsschule 7. „Demokratische Werte vermitteln ist wichtiger denn je für die Gesellschaft“, begrüßt Rektor Oliver Sluka dieses Engagement. Grundwerte näherzubringen, diese zu leben und zu verteidigen, das betont er besonders.
Die Schüler*innen würden für insgesamt zwölf Wochen den Blockunterricht besuchen. „Unser Ziel sind gut ausgebildete Facharbeiter*innen.“ Darauf liege der Fokus. Dennoch stehe auch gesellschaftliche und politische Bildung auf dem Stundenplan. „Wir haben kein großes Gesamtkonzept, aber kleine Mosaiksteine wie das Theaterprojekt heute.“
Übergriffiges Verhalten
Die vielleicht spannendste Aufgabe für die IT-Fachleute kommt am Schluss: Gruppenarbeit, um ein rassistisches Szenario zu konzipieren. Eine super Gelegenheit für die Schüler*innen, findet Yaroslava Gorobey, um beispielsweise eigene Erfahrungen einfließen zu lassen. So wie bei Kiara Morris. Ihr Vater ist Schwarz. Mit ihrer Gruppe greift sie einen Umstand auf, mit dem sie sich immer wieder auseinandersetzen muss: Jemand will ihr in die Haare fassen. „Das ist übergriffig“, sagt die 23-Jährige. Genauso wenn jemand findet: „Du sprichst schön Deutsch.“ Für Kiara ist ihre Rolle zu einem richtigen Trigger geworden: „Ich fühle mich sehr uncomfortable.“
Ihrem Klassenkollegen Sebastian Wagner ist es seinen Worten zufolge bewusst geworden, „wie oft ich ‚aus Versehen‘ rassistisch denke.“ Für ihn ist der Vormittag ein Anschub, sich selbst und seine eigene Sprache zu optimieren.
Für Lehrerin Sara Waibl ist Theater Teil der Kunst. Es biete einen anderen Zugang zu Themen wie Rassismus. Diese Form sei leichter mit der Lebenswelt der Schüler*innen vereinbar.“ Für Respekt Coach Dominik Endres bricht der Vormittag mit „Mensch:Theater!“ das Unterrichtskonzept auf. Das Wichtigste für ihn: „einen Diskurs über diese Themen eröffnen.“ An der Berufsschule 7 sei man sehr bemüht in dieser Hinsicht, betont er.
Ein Beitrag von: Servicebüro Jugendmigrationsdienste